"So, der Ton läuft...!"
Erfahrungen mit der Feldforschung
Das Führen von Interviews steht im Mittelpunkt unserer praktischen Arbeit an dem Ausstellungsprojekt #mehralsdagegen. Die Kontaktaufnahme mit möglichen InterviewpartnerInnen geschah im Frühjahr 2017. Die ersten Interviews haben wir ab Anfang Juni umgesetzt. Diese teils narrativen, teils leitfadengestützten Gespräche ermöglichen uns Studierenden des Masterstudiengangs Kulturanthropologie/Volkskunde am Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Westfälischen Wilhelms-Universität einen Einblick in die ethnographische Arbeitspraxis.
Einige von uns machen ihre ersten Schritte im Feld, andere erweitern ihre bisherigen ethnographischen Fähigkeiten. Im Rahmen unseres Studiums lernen wir, dass eine professionelle, aber individuell-persönliche, erste Kontaktaufnahme der Schlüssel zu erfolgreichen Kooperationen ist. Im besten Fall findet bald darauf ein spannendes Gespräch statt – inklusive banalen, technischen Herausforderungen: „Nach dem Interview, wenn ich das Aufnahmegerät stoppe und es die Aufzeichnung speichert, da bin ich immer einen Moment ganz nervös, ob auch wirklich alles gesichert ist.“ gesteht Julius Virnyi. „Obwohl ich schon im Bachelorstudium Interviews geführt habe, ist jedes neue Gespräch wieder eine spannende Aufgabe: die Gesprächsatmosphäre und den Gesprächsverlauf kann man ja im Vorhinein nicht bis ins Detail planen.“
Durch das eigene forschende Handeln lernen wir nicht nur, uns auf unterschiedliche Gesprächssituationen und GesprächspartnerInnen einzustellen, sondern wir haben die Chance viel tiefer in unser Forschungsthema, die Schülerbewegung im Kontext von ‚68‘, einzutauchen. „Von den Zeitzeugen erfahren wir Vieles über diese Jahre des Aufbruchs und der gesellschaftlichen Veränderungen, was so detailliert und regionalspezifisch nirgendwo zu lesen war. Nicht zuletzt sind für uns aber auch all die persönlichen Kontakte ungeheuer wertvoll. Im besten Fall treffen wir alle Befragten zur Ausstellung in Lemgo ab Juni 2018 wieder!“ hofft Lea Helene Kaumanns. „Für uns setzen sich mit jedem Gespräch mehr und mehr Teile zu einem Gesamtbild zusammen. Besonders spannend wird es genau dann, finde ich, wenn das scheinbar homogene Gesamtbild, das wir durch unsere Lektüre erhalten haben, durch die autobiographischen Erzählungen unserer Gewährsleute irritiert und korrigiert wird.“
Die Gespräche, die bislang im Rahmen von #mehralsdagegen geführt wurden, bieten bereits einen breitgefächerten Einblick in die Lebenswelt der Menschen in den 1960er Jahren und haben auch schon wahre Schätze zu Tage gefördert. Eine ehemalige Jungenclique, die sich auch über fünfzig Jahre nach dem Abitur noch gerne getroffen hat, gab uns genauso Auskunft wie Einzelpersonen, die aus der Warte von Schülerinnen, Lehrern oder Eltern über diese Zeit berichteten. Letztlich bekommen wir einen Eindruck davon, was die Wissenschaftlerin Rosemarie Beier-Haan mit dem „Mehr“ an Geschichte gemeint hat, welches über Zeitzeugeninterviews in ein Forschungsprojekt eingebracht wird – oder wie Projektleiterin Christiane Cantauw es treffend beschreibt: „Die historischen Daten liefern uns nur ein Grundgerüst, das sich mit Hilfe der persönlichen Erzählungen mit Leben füllt.“
Lea Helene Kaumanns