Bravo girl!
Ein Theaterstück kritisiert mangelnde Bildungs- und Entwicklungschancen für Mädchen
Das 1975 veröffentlichte Theaterstück Bravo Girl von Werner Geifrig befasst sich mit dem Einfluss von Jugendzeitschriften wie der Bravo speziell auf weibliche Jugendliche. Der Autor hat BRAVO-Veranstaltungen besucht und die Jahrgänge der Zeitschrift ab den späten 1960er Jahren im Hinblick auf das Rollenbild von Mädchen/Frauen analysiert. Des Weiteren wurden Gespräche mit „Lehrmädchen“, Gewerkschaftsvertretern etc. geführt und wissenschaftliche Analysen ausgewertet. Geifrig sieht im Einfluss der BRAVO, die bereits in den 1960er und 1970er Jahren mit einer knappen Millionenauflage eine tonangebende Zeitschrift für die unter Zwanzigjährigen darstellte, eine wesentliche Ursache dafür, dass Mädchen gleichzeitig als „billige Arbeitskräfte“ und „kaufwillige Konsumenteninnen“ eingestuft wurden. Er sieht sein Stück allerdings nicht nur als Kritik an diesen Zustand, sondern gleichzeitig als einen Appell an die jungen Frauen, sich zu wehren. So schreibt er:
„Aber noch erfüllen viele Mädchen kritiklos die ihnen vorgegebene Rolle am Arbeitsplatz. Denn sie leben in der von BRAVO und anderen Zeitschriften, Schlagerschnulzen, von Film und Fernsehen genährten Hoffnung, einst von einem „Märchenprinzen erlöst“ zu werden. Ihr Marktwert ist ihre Schönheit. Was schön ist, bestimmte die Werbung. Der Maßstab der Werbung bestimmt den Konkurrenzkampf der Mädchen.“
Im Mittelpunkt des Stückes steht Inge, ein sechzehnjähriges Mädchen, das als ungelernte Arbeitskraft in der Bekleidungsfirma Breitenbach Mode ein unbefriedigendes Dasein führt und hofft, dass sich ihre Lage durch die Wahl zum „HALLO-Girl des Jahres“ grundlegend verändert. Zwar gewinnt sie – sehr zur Freude ihrer Mutter und zum Unmut ihres Freundes Sigi – die „Miss-Wahl“, muss aber im Laufe der Kooperation mit der Jugendzeitschrift feststellen, dass es den Verantwortlichen der Zeitschrift überhaupt nicht darum geht, junge Frauen als unabhängig darzustellen oder „groß rauszubringen“, sondern dass ihre Intention vielmehr darin liegt, Mädchen als sexualisierte und abhängige Objekte darzustellen und damit Geld zu verdienen.
Durch die verschiedenen Charaktere und ihre Perspektiven gelingt es Geifrig in anschaulicher Weise, soziokulturelle Probleme der 1960er und beginnenden1970er Jahre zu illustrieren. In der Hauptfigur Inge spiegelt sich die Bildungsmisere der Bundesrepublik Mitte in den 1960er Jahre wieder: Arbeiterkinder und Mädchen waren zu dieser Zeit an den Gymnasien deutlich unterrepräsentiert und zwischen städtischen und ländlichen, sowie katholischen und protestantischen Regionen ließ sich ein wahrnehmbares Bildungsgefälle feststellen. Das „katholische Arbeitermädchen vom Lande“ wurde zum Symbol für die ungleichen Bildungschancen in der Bundesrepublik.
Die schlechte Ausbildung der Protagonistin Inge resultiert aber nicht zuletzt aus dem Rollenverständnis ihrer Eltern, die Inges Berufstätigkeit nur als Intermezzo und Inges Zukunft in einem Dasein als Hausfrau und Mutter sehen.
Am Ende realisiert Inge, dass weder die Wahl zur Miss „Hallo“ noch ihre Eltern oder ihr Freund ihr dabei helfen werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Als ihr Arbeitgeber ihr die bereits zugesagte Lehrstelle verweigert, wird ihr klar, dass nur Information und Solidarität zur Verbesserung ihrer Situation führen werden. Sie tritt in eine Gewerkschaft ein und informiert sich über ihre Rechte als Arbeitnehmerin, die sie im letzten Akt gemeinsam mit ihren Arbeitskolleginnen gegen den Arbeitgeber durchsetzt.
Das Theaterstück von Werner Greifig wirft ein spannendes Schlaglicht auf weibliche Rollenmuster zu Beginn der 1970er Jahre, mit denen sich nicht nur die schlecht ausgebildeten Arbeiterinnen auseinanderzusetzen hatten.
Julius Virnyi