Am Tag der Entlassung protestierten die Abiturienten des Engelbert-Kaempfer-Gymnasiums gegen den Ausschluss ihrer Mitschüler, indem sie ihre Plätze symbolisch freiließen. Friedrich B. als Vierter von links. Foto: privat

„Viel Lärm um nichts oder warten auf Archē“... ein Abischerz 1964

Seit zweieinhalb Monaten läuft unsere Ausstellung Raus aus dem Spießerglück nun im LWL-Freilichtmuseum Detmold. Grund genug, uns nach dem ersten Gastbeitrag zum Ausstellungsstart mit einem zweiten Streich auf mehralsdagegen.de zu Wort zu melden.

„Streich“ ist dabei zugleich das passende Stichwort für die 60er-Anekdote, die uns einer der Leihgeber unserer Ausstellung im vergangenen Sommer erzählte und die nicht nur ein lustiges Schlaglicht auf die „anderen 60er“ unserer Ausstellung wirft, sondern zugleich zwei Verbindungen zu den Themen von mehralsdagegen.de aufweist: Zum einen spielt sie in Lemgo, zum anderen streift sie das Thema Schüler- und Jugendproteste der 60er. Andererseits trifft es „Protest“ bei dieser Geschichte nur bedingt, handelt es sich doch eher um einen Scherz, genauer um einen Abiturscherz aus dem Jahr 1964. Zugleich erzählt die Episode, mit der die Schüler des Engelbert-Kaempfer-Gymnasiums ihre Lehrer im Frühjahr ‘64 zur Weißglut brachten, einiges über die Begrenzungen einer Zeit, in der sich Lehrer noch als naturgegebene Autoritäten fühlten.

„Wir hatten in unserer Abiklasse einen theaterbesessenen Mitschüler, der schon etliche Aufführungen gemacht hatte. Insofern war es eigentlich unverdächtig, als er unseren Direktor fragte, ob er kurz vor der offiziellen Abiturentlassfeier ein modernes Stück eines jungen belgischen Autors in Anwesenheit des gesamten Jahrgangs und des Lehrerkollegiums zur Uraufführung bringen dürfte“, berichtete unser Leihgeber Friedrich B. über das, was sich im März vor 54 Jahren anbahnte. Der Direktor hatte nichts gegen die Aufführung einzuwenden. Lediglich bei der Besetzung der sechs Rollen gab er dem Regisseur einen Wunsch mit auf den Weg: „Nehmen Sie aber nur die, die nicht wackeln!“, eine Befürchtung, die sich noch als unbegründet herausstellen sollte. Im Rahmen seines Schülerjobs als Freier Mitarbeiter einer Tageszeitung war Friedrich B. Zeuge einiger „Proben“ des Stücks, das unter dem Titel Viel Lärm um nichts oder warten auf Archē seine Uraufführung erleben sollte. „Da dachte ich mir schon: 'Was sind das für dämliche Dialoge? Das kapiert doch kein Mensch!'‘“, erzählt B. von seinen ersten Eindrücken.

Am Tag der Aufführung hatte die Klasse des EKG ihr Abitur bereits erfolgreich absolviert – ein Umstand, der sich noch als wichtig herausstellen sollte. „Wir marschierten in einer Art Festumzug durch die Stadt zum Marianne-Weber-Gymnasium, wo die Aufführung wegen der dortigen größeren Aula stattfand“, erinnert sich B. und muss dabei schon schmunzeln. Dem Anlass entsprechend wurde das versammelte Lehrerkollegium in der ersten Reihe platziert. „Dann ging der Vorhang auf und auf der Bühne erschien eine Art Galgen, von dem eine einsame Glühbirne herabhing, die – wie bei einem Kurzschluss – vor sich hinblinkte“, berichtet B. von der Eröffnungsszene. „Nach etwa fünf Minuten kam die erste Unruhe auf und den ersten wurde klar, dass es sich um einen Abiturscherz handelt“. Da sich an der Szenerie nichts änderte, dämmerte dies bald auch den ersten Lehrern. B. muss noch heute lachen, wenn er daran denkt: „In der ersten Reihe sagte der Altgriechisch-Lehrer zum Lateiner: ‚Herr Kollege, hören Sie es auch? Viel Lärm um nichts... Und: warten auf Archē! Archē ist doch der Anfang, da können wir lange warten!“.

Wutentbrannt berieten die betroffenen Lehrer auf einer Konferenz, ob es Möglichkeiten gebe, den Initiatoren des Streichs das Abitur wegen „mangelnder Reife“ noch nachträglich abzuerkennen, mussten das Vorhaben aber aufgeben. „Am Ende durften der Regisseur und die fünf anderen nicht an der offiziellen Entlassfeier teilnehmen“, erinnert sich Friedrich B. an die einzigen unmittelbaren Folgen des Streichs. „Am Tag der Entlassung haben wir dagegen symbolisch protestiert, indem wir die Plätze der Ausgeschlossenen freigelassen haben“

Gastbeitrag von Mathis Kleinitz und Janina Raub